Die Edelsteinmetropole Idar-Oberstein – von den Ursprüngen bis heute

In einer vierteiligen Serie tauchen wir ein in die faszinierende Welt der Edelsteine. Wir erkunden, wie unsere Region sich zu einem der weltweit bedeutendsten Standorte für die Edelsteinindustrie entwickelt hat, welche Steine bei uns heimisch sind und wo sich heute noch Spuren der Steine finden lassen

TEIL 2: WO IN UNSERER REGION HEUTE NOCH SPUREN DER EDELSTEINE ZU FINDEN SIND: HISTORISCHE ZEUGNISSE

Die Deutsche Edelsteinstraße
Seit Jahrhunderten ist die Region rund um Idar-Oberstein eng mit der Gewinnung und Verarbeitung von Edelsteinen verbunden. Viele Alteingesessene haben Achatschleifer im Familienstammbaum, nach wie vor verdienen rund 1.500 Menschen ihren Lebensunterhalt in einem Bereich, der im engen oder weiteren Sinn mit Edelsteinen zu tun hat. Dies trifft auch auf viele umliegende Orte im Hunsrück und an der Nahe zu. Um die gemeinsame Vergangenheit zum Markenzeichen auszubauen, haben sich Städte und Gemeinden 1974 zur Deutschen Edelsteinstraße zusammengeschlossen. Öffentlich vertreten wird die Deutsche Edelsteinstraße durch den Förderverein Deutsche Edelsteinstraße e.V., der seit 1976 alle zwei Jahre die Deutsche Edelsteinkönigin kürt. Diese repräsentiert die Edelsteinregion national und international auf Festen und Messen. Die aktuelle Königin Bettina Reiter ist pandemiebedingt seit 2018 im Amt. 2022 soll die Wahl zur Deutschen Edelsteikönigin wieder stattfinden, die ursprünglich bereits für 2020 angesetzt gewesen war.

Die Deutsche Edelsteinstraße verläuft in zwei Routen durch den Hunsrück und das Nahetal. Der 30 Kilometer-Rundkurs verbindet das Zentrum von Idar-Oberstein mit Tiefenstein, Katzenloch, Kempfeld, Asbacher Hütte, Mörschied, Herborn, Veitsrodt und Vollmersbach. Die 48 Kilometer-Schleife verläuft von Idar-Oberstein über Algenrodt, Rötsweiler-Nockenthal, Mackenrodt, Hettenrodt, Kirschweiler, Katzenloch, Allenbach, Wirschweiler, Sensweiler, Langweiler, Bruchweiler, Schauren, Asbacherhütte, Herrstein, Niederwörresbach, Fischbach, Weierbach bis nach Nahbollenbach. An verschiedenen Stationen können Mineralieninteressierte entlang der Strecke den Spuren der Steine folgen und Informationen über deren Entstehung, den Abbau, die Verarbeitung und den Vertrieb sammeln. Darüber hinaus laden Wanderwege dazu ein, die vulkanische Beschaffenheit der Landschaft zu erkunden. Mit etwas Glück stoßen Besucher dabei vielleicht auf einen besonderen Schatz. Zwar werden in der Region schon lange keine Edelsteine mehr gefördert, doch Amethyst, Achat, Jaspis, Carneol, Bergkristall, Calcit oder Rauchquarz können auch heute noch gefunden werden.

In dieser zweiten Folge unserer Edelsteinserie stellen wir die historisch bedeutsamen Orte vor, an denen Besucher heute in die Vergangenheit der Region eintauchen und nacherleben können: die Edelsteinmine Steinkaulenberg, die Achatschleifen in Asbacherhütte und Algenrodt sowie das Industriedenkmal Jakob Bengel. Weitere interessante Orte rund um das Thema Edelsteine, die erst später entstanden, stellen wir im dritten Teil vor.

 

Edelsteinschaumine Steinkaulenberg
Wichtigstes Zeugnis der regionalen Edelstein-Historie ist zweifellos die Schaumine Steinkaulenberg. Sie wurde 1375 erstmals erwähnt, der gezielte Achatabbau hat Überlieferungen zufolge im 15. Jahrhundert begonnen. Zeitweise war die Edelsteinmine die größte Achatmine Europas. Der Abbau endete 1875. Damals belieferten Auswanderer die Region mit großen Achatmengen aus Brasilien, die Förderung in den ausgebeuteten heimischen Stollen lohnte sich nicht mehr.

Die Stollen verfielen, bis sie ab 1977 für Besucher zugänglich gemacht wurden. Zunächst gab es noch die Möglichkeit, in einem Schürfstollen selber nach Edelsteinen zu suchen. Doch seit 2006 ist er ausgebeutet, neue Gänge in den Berg zu graben, der Experten zufolge nach wie vor den ein oder anderen Schatz verbirgt, wäre zu kostspielig. Die Edelsteinmine ist daher heute eine reine Schaumine – die einzige ihrer Art in ganz Europa. Auf 400 Metern ist der Stollen barrierefrei im Rahmen einer Führung zugänglich. Los geht es in der sogenannten „Heischermannskisch“, die größte Weitung des Stollens, aus der die Schürfer einst wunderschöne Achate (hier sind einige der im Steinkaulenberg geschürften Achate im Bild zu sehen) bargen. Beim Rundgang kann die unterirdische Märchenwelt bewundert werden, denn an einigen Stellen befinden sich noch Reste von Achaten, Amethysten, Bergkristallen und Jaspis im Gestein.

Selber danach suchen darf man in der Umgebung des Bergs heute nicht mehr: Der Bereich ist als Naturschutzgebiet mit Sammelverbot ausgewiesen. Wer dennoch auf Schatzsuche gehen möchte, kann gegen Entgeld für zwei Stunden die benachbarten Schürffelder oder das Edelsteincamp besuchen. Die Schürffelder werden täglich mit Mineralien und Edelsteinen bestückt, um Kindern und Jugendlichen eine Fundgarantie zu sichern.

 

Die Historische Weiherschleife
Wenige Kilometer vom Steinkaulenberg entfernt, liegt zwischen Idar und Tiefenstein die Historische Weiherschleife. Insgesamt 183 Schleifen säumten zur Hochzeit der Wasserschleifbetriebe die Nahezuflüsse. Alleine 56 von ihnen lagen am Idarbach. Nach Eröffnung des ersten Elektrizitätswerks im Oktober 1900, das die neu gegründete Oberstein-Idarer Elektrizitäts-Aktiengesellschaft (heute OIE) bauen ließ, wurden die Wasserschleifen in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts nach und nach stillgelegt und verfielen. Der Betrieb mit Strom war einfacher und effektiver. Die Weiherschleife ist heute das letzte erhaltene historische Zeugnis seiner Art am Idarbach.

Die Achatschleifmühle hieß ursprünglich Kallwiesweiherschleife und war von 1634 mit einigen Unterbrechungen bis 1945 in Betrieb. Im Anschluss drohte auch sie zu zerfallen, doch ab 1953 wurde sie restauriert. Eine zweite Renovierung folgte 1996. In der Folge wurde die Weiherschleife für Besichtigungen geöffnet. An den großen Sandstein-Schleifrädern wird im Rahmen einer Führung demonstriert, wie die Schleifer früher arbeiteten. Beim Schleifen lagen sie bäuchlings auf den sogenannten „Schleifenkippstühlen“ und hielten die Steine an das Rad der „Bachschleife“, die das Wasser als Antrieb nutzte.

Wie hart die Arbeit gewesen sein muss, können Gäste bei einem Besuch unmittelbar erleben. Darüber hinaus erwartet sie die Multimedia-Schau „Das Geheimnis der Edelsteine“, eine Edelsteinausstellung, ein Museums-Shop und ein überdachter Schürfplatz, auf dem Kinder nach Edelsteinen suchen können. Der als Reservoir zum Betrieb des Wasserrades der Edelsteinschleife dienende Kallwiesweiher bietet außerdem einen kleinen Tretbootverleih.

GUT ZU WISSEN:  Achatschleifen – eine beschwerliche Arbeit
Die erste Achatschleife innerhalb der Herrschaft Oberstein wurde 1531 vom Schleifer Wirich von Daun erbaut. Überlieferungen zufolge waren bis 1609 sechs Schleifereien bekannt, als durch Graf Philipp Franz eine Zunftordnung erlassen wurde. Ihr Ziel: „Unrichtigkeit, Unfleiß und Unachtsamkeit unter ihnen“ ein Ende zu bereiten (Quelle: Karl-Theo Reidenbach: „Achatschleiferei und Wasserschleifen am Idarbach“, 1986). Das Handwerk war äußerst beschwerlich und griff die Gesundheit an: Zum einen beeinträchtigte die unnatürliche Körperhaltung die Funktion der inneren Organe und der Lunge, zum anderen litten die Lungen der Schleifer durch den feinen Staub, der beim Schleifen entstand. Während in anderen Berufen die Lebenserwartung bei rund 60 Jahren lag, starben Schleifer durchschnittlich mit 36 Jahren.

Edelsteinschleiferei Asbacherhütte
Auch in Asbacherhütte lässt sich noch eine historische Wasserschleife in Aktion erleben. Der Schleifer Ernstotto Biehl gibt Einblick in seine Produktionsstätte, eine ehemalige Gipsmühle, die 1880 von Ernstottos Urgroßvater Wendelinus zur Edelsteinschleiferei umgebaut wurde und seit vier Generationen von der Familie betrieben wird. Bäuchlings auf dem Kippstuhl liegend hält der Schleifer Achate an das Sandsteinschleifrad, das nach wie vor von einem Wasserrad mit der Kraft des Asbaches angetrieben wird. Transmissionsriemen übertragen die Energie auf einen 100 Jahre alten Generator, der 100 Volt Gleichspannung erzeugt und die Schleifsteine antreibt, die aus unscheinbar wirkenden Rohsteinen funkelnde und glänzende Schätze machen. Sie wiegen drei bis fünf Tonnen und haben einen Durchmesser von zwei Metern. Auch die Maschinen und Werkzeuge, mit denen Biehl die Steine auf traditionelle Art und Weise schneidet, formt und poliert sind seit Generationen im Familienbesitz.

Die Vorgänge beim Schleifen sind immer gleich: Zunächst wird der Rohstein mit einer harten, mit winzigen Diamanten beschichteten Scheibe geschnitten. Mit einer weiteren Scheibe aus Carborundum, eine chemische Verbindung aus Silizium und Kohlenstoff, bringt der Schleifer die Steinstücke in Form. Das wassergetriebene Schleifrad schließlich ist für den Feinschliff zuständig, durch den die Zeichnung des Steins erkennbar wird. Im Anschluss wird der Stein an mit weichem Tuch bespannten Holzscheiben poliert. Zudem besitzt die Biehl-Schleife verschiedene Trommeln, in denen kleinere Steine mit Sand oder Kreide geschliffen und poliert werden. Außerdem können Technikfans sich an einem ganz besonderen Kleinod erfreuen: In der Werkstatt spenden noch einige mehr als 100 Jahre alte original Kohlefaden-Glühlampen von Edison ihr gelbliches Licht. Im Im Ausstellungs- und Verkaufsraum finden Besucher Unikate aus jahrelanger, eigener Herstellung- und Verarbeitung sowie andere Edelsteinkostbarkeiten.

 

Industriedenkmal Jakob Bengel
Neben der Schmuckindustrie hat sich in Idar-Oberstein im Zuge der Industrialisierung auch die Metallwarenindustrie etabliert, die durch fortlaufende Spezialisierung nach wie vor ein wichtiger Wirtschaftszweige der Region ist. Das frühere Kerngeschäft aber, die Herstellung von Ketten, Modeschmuck, Manschettenknöpfen oder Zigarettenetuis ist jedoch weitgehend in Vergessenheit geraten. Bei einem Besuch im restaurierten Gebäude der ehemaligen Uhrenketten und Bijouteriewarenfabrik Jakob Bengel von 1873 in Idar-Oberstein aber wird die Vergangenheit lebendig.

Mit seiner originalen Baustruktur und teils noch funktionstüchtigen Ausstattung ermöglicht das Industriedenkmal Einblicke in die Historie der örtlichen Schmuckbranche. Dass es das Ensemble aus Fabrik (1873), Arbeiterwohnhaus (1890) und Jugendstil-Fabrikantenvilla (1910) heute noch gibt, ist einer Initiative der Urenkelin des Firmengründers zu danken: Christel Braun rief 2001 die Bengel-Stiftung ins Leben. Gemeinsam mit dem Freundeskreis Bengel Denkmal e. V. engagierte sie sich für den Erhalt des Gebäudeensembles, das als Zeugnis vergangener Industriekultur gilt.

Besucher erleben, wie aus einem Draht eine Kette hergestellt wird oder wie ein Schmuckstück entsteht. 40 funktionierende Kettenmaschinen stehen in der Maschinenhalle, die älteste ist mehr als 100 Jahre alt. Im Rahmen der Führung werden auch Friktionsspindelpressen, Ziehbänke und Walzen vorgeführt. Außerdem können Besucher sich in der Dauerausstellung über die Geschichte und Technik der Modeschmuck- und Bijouteriewarenfabrikation in Idar-Oberstein informieren und historische Produkte bewundern. Auch Ausstellungen zu wechselnden Themen finden statt.

GUT ZU WISSEN:  Filmdokumente – Zeitzeugen berichten
In ihrer Blütezeit waren rund 5.000 Menschen in der Schmuck- und Metallwarenindustrie in Idar-Oberstein beschäftigt. Die Jakob Bengel-Stiftung und der AWO Idar-Oberstein haben im Rahmen eines Zeitzeugenprojekts verschiedene Menschen aufgespürt, die die Edelstein- und Schmuckindustrie der Region in den vergangenen Jahrzehnten geprägt haben. Einige der spannenden Filmdokumente können Sie hier ansehen. Beispielsweise führt Karl-Dieter Braun, ehemaliger Geschäftsführer des Unternehmens Jakob Bengel und Vorstand der Jakob-Bengel-Stiftung, durch die ehemalige Ketten- und Bijouteriewarenfabrik, der Stahlgraveur und Schmuckgestalter Alfred Bauer berichtet von seinem Handwerk und Werkzeugmacher Richard Stein erzählt von seiner Arbeit in der Bijouteriefabrik Max Keller.





Lesen Sie nächste Woche in Teil 3 der Serie „Die Edelsteinmetropole Idar-Oberstein – von den Ursprüngen bis heute“:

Wo in unserer Region heute noch Spuren der Edelsteine zu finden sind: Edelstein-Erlebnisorte